Heroe
Pirat
Hero trat einen Schritt auf den rechten Gang zu und hob leicht den Kopf. Zaghaft sog sie die Luft durch die Nase ein und versuchte einen Geruch auszumachen. Sie schüttelte den Kopf und die Blüten ihres Haarschmucks flatterten. »Ich rieche nichts.« stellte sie fest, ohne in Abrede zu stellen, was die Ärztin ausgeführt hatte. Sie vertraute ihrem Urteil: wer außer der gefräßigen Frau würde zielsicher den Weg zu frisch Gekochtem ausfindig machen können?
Hero hatte die Arme verschränkt und genickt, während Kakuga sprach. Auch war ihr nicht der Blick entgangen, der ihr zugeworfen wurde. Bevor Hero sie finster ansah, hatte sie bereits weggesehen. Trotz allem ergab ihre Analyse Sinn.
»Gut. Dann gehe ich hier entlang. Wahrscheinlich hat sich die Nachricht unserer Ankunft aber so oder so überall herumgesprochen.« Aus der Richtung, aus der sie beide zusammen mit Kaja und Afro gekommen waren, ertönte ein lautes Donnern, dessen Nachhall durch den metallenen Gang dröhnte. Beinahe rechnete Hero damit, dass der Boden erzitterte und vor ihrem inneren Auge entstand ein Bild der Auseinandersetzung zwischen Boris und seiner automatischen Replik. Jeder von ihnen hatte das Geräusch vernommen. In keinem der Gesichter ihrer Gefährten erkannte Hero ein Zeichen von Sorge. Daraufhin trat sie in den breiten Mittelgang hinein, den Kakuga eigentlich Mika zugeschrieben hatte, wandte sich um und hob das Kinn. Ihr Blick streifte die verbleibenden Hamster und blieb auf der Ärztin hängen. Ein unnachgiebiges Lächeln verzog ihre Lippen und verlieh ihrer Mimik einen verwegenen Zug. »Wir sehen uns unten wieder.«
Tief im Bauch eines mittleren Decks herrschte unbeständiges Zwielicht. Hierhin drang niemals Tageslicht und frische Luft verlor diese Qualität auf dem langen, verschlungenen Pfad, den die Lüftungsschächte beschrieben, bis sie hier endeten. Hoffnung war ein Begriff, dem in einem anderen Leben eine Bedeutung innegewohnt hatte, die der Zeit, in der die Menschen nicht schliefen, einen Wert verliehen hatte. Es war heiß, die Luft feucht. Niemand redete laut. Die meisten Gefangenen lehnten sich gegen das verdreckte Metall der Wände oder die Stäbe, die den gewaltigen Bereich in vier unterschiedlich große Gefangenenabteile gliederte. Ein muskulöser Mann mit filzigem, schulterlangem Haar saß in eine Ecke gelehnt und verscheuchte mit einer trägen Bewegung eine Fliege, die sich auf seinem nackten, von Narben gezeichneten Oberschenkel niederlassen wollte. In seiner Nähe hielt sich niemand auf, sodass ihm ungewöhnlich viel Platz zur Verfügung stand. Er war der einzige, dem die Wachen gelegentlich erlaubten, den Trakt durch den in die unteren Ebenen führenden Ausgang zu verlassen. Bald hatte sich ein zweiter ihm angeschlossen, dann ein dritter, bis er ein halbes Dutzend schweigender Gefolgsleute unter sich vereinte. Hektor ließ jedoch nicht jeden mit sich kommen. Die Fliege suchte sich ein neues Ziel. Eine große Frau trat heran, griff das Insekt aus der Luft und das Summen verstummte.
In der Mitte des Decks befand sich eine achteckige Fläche, zur der ein Gang hinführe, der sich quer durch das Deck zog und an den in den vier Ecken angesiedelten Gefängniszellen vorbeiführte. Die einst glänzende Oberfläche des Oktagons war von einem Film aus Staub, Blut, Dreck und Schweiß überzogen. Während die übrige, als Gefängnisraum benötigte Fläche nicht genug Platz für ihre Insassen bot, war der achteckige Bereich in der Mitte frei. Zumindest einmal am Tag jedoch traten wenigstens zwei von ihnen dort hinaus. Dann wurde es unerträglich laut und tropisch heiß.
Bis dahin herrschte die meiste Zeit eine unbeständige Ruhe. Doch war es heute fast still. Neuigkeiten drangen ebenso selten bis zu diesem Deck vor wie frisches Wasser oder eine ordentliche Mahlzeit. Aber irgendwann hatten die Wachen von den gegenwärtigen Geschehnissen erfahren. Das Gerücht hatten sie nicht lange für sich behalten können. Wie ein Virus hatte es sich unter den Männern ausgebreitet. Obwohl Stille herrschte, schien die Luft von Spannung durchzogen. Das war, worauf sie gewartet hatten. Oder klammerten sie sich nur ein weiteres Mal an ein Hirngespinst, das hier nicht existieren sollte?
Die beiden doppeltürigen Eingänge zum Deck benötigten im Unterschied zu den oberen Ebenen keine zwei Männer, um geöffnet zu werden. Niemand hatte je diese Ebene verlassen, ohne dass es dem Willen der gesichtslosen Herrscher dieser Welt entsprochen hätte.
In der am hinteren Ende auf der rechten Seite gelegenen Gefängniszelle erklang ein Aufstöhnen, ein gebrülltes Wort, ein dumpfer Schlag. Die verzehrende Stille breitete sich wieder einem unsichtbaren Nebel gleich aus, doch der geschlagene Mann stand auf und setzte sich zur Wehr. Gemurmel wurde laut und eine dösende Wache öffnete ein Auge, gerade als sich zwei weitere Gefangene einmischten. Der Wachmann tauschte einen Blick mit seinem Kollegen. Widerwillig blickten sie zwischen den Gittern hindurch und beobachteten den Beginn einer Schlägerei. Der Mann, der in der Ecke saß und inzwischen die Gesellschaft der hochgewachsenen Frau genoss, rührte sich nicht.
»Verdammte Missgeburten einer Missgeburt.« zischte einer der Wächter und wuchtete die Keule auf seine Schulter, die an seinem Bein lehnte. Ein ungeduldiges Handzeichen winkte die übrigen Wachen des Decks herbei. Auseinandersetzungen zwischen den Gefangenen waren geduldet, wurden aber niedergeschlagen, bevor sie ein zu großes Ausmaß annahmen. Der Schlüssel klirrte im Schloss und die die Tür knarrte ohrenbetäubend, als die Zelle aufgesperrt wurde.
Mit einem dröhnenden Schlag sprang die am Eingang zum Deck gelegene Tür auf, die zu den höher gelegenen Decks führte. Die meisten Köpfe zuckten herum. Diese Tür öffnete sich nur, wenn sich Neulinge einfanden. Ein bewaffneter, gerüsteter Mann trat rückwärts herein, geriet ins Straucheln und ging zu Boden. Er war erkennbar kein Neuling, sondern einer der erprobten Krieger der Estella Muerta.
Aus dem anschwellenden Murmeln wurde ein Rufen, schließlich ein Schreien, als die Insassen der soeben geöffneten Zelle wie ein Mann auf die Beine kamen. »Sie sind hier.« »Es geht los!« »Raus hier.« »Nieder mit den Wärtern!« Wer gekommen war, spielte keine Rolle, solange er den entscheidenden Unterschied in dem einen, alles entscheidenden Aufbegehren der Gefangenen machte. Die Gerüchte, dass es jemand gewagt hatte, den Kampf mit der Estella Muerta aufzunehmen, schienen wahr zu sein.
Die anderen drei Zellen lärmten, feuerten ihre Mitgefangenen in der geöffneten Zelle an. Metallene Rüstungsteile wurden gegen die Gitterstäbe geschlagen, ein klirrendes Geräusch, das von den Stahlwänden widerhallte. In der vierten Zelle hatte der Aufstand begonnen. Die Frau in der Ecke dieser Zelle seufzte und strich sich das Haar aus dem Gesicht. Hektor erhob sich.
Hero stand am Ende eines Ganges und sah über die Schulter zurück. Nichts bewegte sich mehr. Mit dem geprellten Handrücken wischte sie sich über das Kinn und betrachtete den Blutsstreifen, der zurückblieb. Ihr letzter Gegner war durch die Tür am Ende eines schier unendlichen Ganges den nächsten Raum gestolpert. Sie lechzte nach frischer Luft, aus dem Raum drang aber nur ein bestialischer Gestank. Sie verzog das Gesicht. Zugleich bedeutete das, dass sie ihrem Ziel näher kam. Stimmengewirr schwoll vor ihr an und Hero hob erneut ihre Klinge. Sie wartete zehn Herzschläge, doch niemand kam. Langsam ging sie auf die Tür zu, hinter der sie den bewusstlosen Kämpfer ausmachen konnte. Kaum jemand beachtete sie, als sie den riesigen Trakt betrat und jetzt erkannte sie auch den Grund dafür: in einer der beiden hinteren Zellen war ein Inferno losgebrochen.
Hero hatte die Arme verschränkt und genickt, während Kakuga sprach. Auch war ihr nicht der Blick entgangen, der ihr zugeworfen wurde. Bevor Hero sie finster ansah, hatte sie bereits weggesehen. Trotz allem ergab ihre Analyse Sinn.
»Gut. Dann gehe ich hier entlang. Wahrscheinlich hat sich die Nachricht unserer Ankunft aber so oder so überall herumgesprochen.« Aus der Richtung, aus der sie beide zusammen mit Kaja und Afro gekommen waren, ertönte ein lautes Donnern, dessen Nachhall durch den metallenen Gang dröhnte. Beinahe rechnete Hero damit, dass der Boden erzitterte und vor ihrem inneren Auge entstand ein Bild der Auseinandersetzung zwischen Boris und seiner automatischen Replik. Jeder von ihnen hatte das Geräusch vernommen. In keinem der Gesichter ihrer Gefährten erkannte Hero ein Zeichen von Sorge. Daraufhin trat sie in den breiten Mittelgang hinein, den Kakuga eigentlich Mika zugeschrieben hatte, wandte sich um und hob das Kinn. Ihr Blick streifte die verbleibenden Hamster und blieb auf der Ärztin hängen. Ein unnachgiebiges Lächeln verzog ihre Lippen und verlieh ihrer Mimik einen verwegenen Zug. »Wir sehen uns unten wieder.«
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Tief im Bauch eines mittleren Decks herrschte unbeständiges Zwielicht. Hierhin drang niemals Tageslicht und frische Luft verlor diese Qualität auf dem langen, verschlungenen Pfad, den die Lüftungsschächte beschrieben, bis sie hier endeten. Hoffnung war ein Begriff, dem in einem anderen Leben eine Bedeutung innegewohnt hatte, die der Zeit, in der die Menschen nicht schliefen, einen Wert verliehen hatte. Es war heiß, die Luft feucht. Niemand redete laut. Die meisten Gefangenen lehnten sich gegen das verdreckte Metall der Wände oder die Stäbe, die den gewaltigen Bereich in vier unterschiedlich große Gefangenenabteile gliederte. Ein muskulöser Mann mit filzigem, schulterlangem Haar saß in eine Ecke gelehnt und verscheuchte mit einer trägen Bewegung eine Fliege, die sich auf seinem nackten, von Narben gezeichneten Oberschenkel niederlassen wollte. In seiner Nähe hielt sich niemand auf, sodass ihm ungewöhnlich viel Platz zur Verfügung stand. Er war der einzige, dem die Wachen gelegentlich erlaubten, den Trakt durch den in die unteren Ebenen führenden Ausgang zu verlassen. Bald hatte sich ein zweiter ihm angeschlossen, dann ein dritter, bis er ein halbes Dutzend schweigender Gefolgsleute unter sich vereinte. Hektor ließ jedoch nicht jeden mit sich kommen. Die Fliege suchte sich ein neues Ziel. Eine große Frau trat heran, griff das Insekt aus der Luft und das Summen verstummte.
In der Mitte des Decks befand sich eine achteckige Fläche, zur der ein Gang hinführe, der sich quer durch das Deck zog und an den in den vier Ecken angesiedelten Gefängniszellen vorbeiführte. Die einst glänzende Oberfläche des Oktagons war von einem Film aus Staub, Blut, Dreck und Schweiß überzogen. Während die übrige, als Gefängnisraum benötigte Fläche nicht genug Platz für ihre Insassen bot, war der achteckige Bereich in der Mitte frei. Zumindest einmal am Tag jedoch traten wenigstens zwei von ihnen dort hinaus. Dann wurde es unerträglich laut und tropisch heiß.
Bis dahin herrschte die meiste Zeit eine unbeständige Ruhe. Doch war es heute fast still. Neuigkeiten drangen ebenso selten bis zu diesem Deck vor wie frisches Wasser oder eine ordentliche Mahlzeit. Aber irgendwann hatten die Wachen von den gegenwärtigen Geschehnissen erfahren. Das Gerücht hatten sie nicht lange für sich behalten können. Wie ein Virus hatte es sich unter den Männern ausgebreitet. Obwohl Stille herrschte, schien die Luft von Spannung durchzogen. Das war, worauf sie gewartet hatten. Oder klammerten sie sich nur ein weiteres Mal an ein Hirngespinst, das hier nicht existieren sollte?
Die beiden doppeltürigen Eingänge zum Deck benötigten im Unterschied zu den oberen Ebenen keine zwei Männer, um geöffnet zu werden. Niemand hatte je diese Ebene verlassen, ohne dass es dem Willen der gesichtslosen Herrscher dieser Welt entsprochen hätte.
In der am hinteren Ende auf der rechten Seite gelegenen Gefängniszelle erklang ein Aufstöhnen, ein gebrülltes Wort, ein dumpfer Schlag. Die verzehrende Stille breitete sich wieder einem unsichtbaren Nebel gleich aus, doch der geschlagene Mann stand auf und setzte sich zur Wehr. Gemurmel wurde laut und eine dösende Wache öffnete ein Auge, gerade als sich zwei weitere Gefangene einmischten. Der Wachmann tauschte einen Blick mit seinem Kollegen. Widerwillig blickten sie zwischen den Gittern hindurch und beobachteten den Beginn einer Schlägerei. Der Mann, der in der Ecke saß und inzwischen die Gesellschaft der hochgewachsenen Frau genoss, rührte sich nicht.
»Verdammte Missgeburten einer Missgeburt.« zischte einer der Wächter und wuchtete die Keule auf seine Schulter, die an seinem Bein lehnte. Ein ungeduldiges Handzeichen winkte die übrigen Wachen des Decks herbei. Auseinandersetzungen zwischen den Gefangenen waren geduldet, wurden aber niedergeschlagen, bevor sie ein zu großes Ausmaß annahmen. Der Schlüssel klirrte im Schloss und die die Tür knarrte ohrenbetäubend, als die Zelle aufgesperrt wurde.
Mit einem dröhnenden Schlag sprang die am Eingang zum Deck gelegene Tür auf, die zu den höher gelegenen Decks führte. Die meisten Köpfe zuckten herum. Diese Tür öffnete sich nur, wenn sich Neulinge einfanden. Ein bewaffneter, gerüsteter Mann trat rückwärts herein, geriet ins Straucheln und ging zu Boden. Er war erkennbar kein Neuling, sondern einer der erprobten Krieger der Estella Muerta.
Aus dem anschwellenden Murmeln wurde ein Rufen, schließlich ein Schreien, als die Insassen der soeben geöffneten Zelle wie ein Mann auf die Beine kamen. »Sie sind hier.« »Es geht los!« »Raus hier.« »Nieder mit den Wärtern!« Wer gekommen war, spielte keine Rolle, solange er den entscheidenden Unterschied in dem einen, alles entscheidenden Aufbegehren der Gefangenen machte. Die Gerüchte, dass es jemand gewagt hatte, den Kampf mit der Estella Muerta aufzunehmen, schienen wahr zu sein.
Die anderen drei Zellen lärmten, feuerten ihre Mitgefangenen in der geöffneten Zelle an. Metallene Rüstungsteile wurden gegen die Gitterstäbe geschlagen, ein klirrendes Geräusch, das von den Stahlwänden widerhallte. In der vierten Zelle hatte der Aufstand begonnen. Die Frau in der Ecke dieser Zelle seufzte und strich sich das Haar aus dem Gesicht. Hektor erhob sich.
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Hero stand am Ende eines Ganges und sah über die Schulter zurück. Nichts bewegte sich mehr. Mit dem geprellten Handrücken wischte sie sich über das Kinn und betrachtete den Blutsstreifen, der zurückblieb. Ihr letzter Gegner war durch die Tür am Ende eines schier unendlichen Ganges den nächsten Raum gestolpert. Sie lechzte nach frischer Luft, aus dem Raum drang aber nur ein bestialischer Gestank. Sie verzog das Gesicht. Zugleich bedeutete das, dass sie ihrem Ziel näher kam. Stimmengewirr schwoll vor ihr an und Hero hob erneut ihre Klinge. Sie wartete zehn Herzschläge, doch niemand kam. Langsam ging sie auf die Tür zu, hinter der sie den bewusstlosen Kämpfer ausmachen konnte. Kaum jemand beachtete sie, als sie den riesigen Trakt betrat und jetzt erkannte sie auch den Grund dafür: in einer der beiden hinteren Zellen war ein Inferno losgebrochen.
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