„Vielen Dank für Ihre Hilfe!“
„Ohne Euch würde ich nicht hier stehen!“
„Ihr seid eine Lebensretterin!“
Unerwartet positiv wurde die Hakai in den ersten paar Häusern begrüßt. Der schwer verletzte Kerokeronosuke war bei gutem Bewusstsein und hatte seiner Frau wohl schon so einiges über die Schlacht erzählt. Beide waren ihr unheimlich dankbar, so sehr sie ihren Dank auch abzulehnen versuchte.
Der nächste Patient, Watari, hatte es schon wieder aus dem Bett geschafft. Voll Stolz erklärte er ihr, welche Ehre es ihm gewesen sei, an ihrer Seite zu kämpfen. Eine Ehre, die sie verneinte – solch Lob hatte sie nicht verdient.
Danach kam Kuronobu, der wohl gerade erst aus seinem Koma erwacht war. Noch schmerzten all seine Knochen, doch die Erleichterung in den Augen seiner Mutter strahlte so hell wie tausend Sterne. Auch sein alter Vater zeigte sich mehr als dankbar. Sie musste sich große Mühe geben, ihn davon abzuhalten, ihr etwas zum Danke zu schenken. Mit einem peinlich berührten Lächeln begann sie ihre Arbeit.
Ihre Krankenbesuche bestanden nämlich nicht nur daraus, sich zu entschuldigen. Sie nahm auch die Verantwortung einer wahren Ärztin auf sich: Nachuntersuchungen, Diagnose, Schmerzmittel, Antibiotika, neue Verbände, Gebrochenes wurde geschient und Anweisungen für die nahe Zukunft gegeben, damit die Verletzungen in aller Ruhe verheilen konnten. Erleichtert trat die Hakai aus dem dritten Hause heraus. Eventuell hatte sie ihre eigenen Fehler doch zu groß eingeschätzt.
„Du siehst schon viel besser aus“, meinte Sami fröhlich, während sie neben Kakuga her spazierte.
„Bist du endlich richtig wach?“ „Haha, das ist es nicht!“ Spielerisch gab die Schwarzhaarige ihrer Begleiterin einen leichten Klaps auf den Rücken. Eine gewisse Unsicherheit zierte sie noch immer, aber sie fühlte sich etwas besser. Konnte ein ehrliches Lächeln zeigen.
„Ich bin einfach wirklich froh, dass ich das mache. Dass ich für meine Patienten auch jetzt noch da bin. Verstehst du?“ Etwas erstaunt sah Sami sie aus großen Augen an. Sie lachte leicht auf, aber ihre nächsten Worte waren dadurch nicht weniger ernst:
„Du bist wirklich ein guter Mensch, Kakuga.“
Eine Röte breitete sich im Gesicht der Ärztin aus. Nicht sicher, was sie sagen sollte, blickte sie auf. Da war auch schon das Haus ihres nächsten Patienten!
„Er... mein Ehemann... hat es nicht geschafft...“
Geschockt stand Kakuga vor der alten Dame, die mit den Tränen kämpfte. Sie saß vor einer Tasse Tee, die schon lange kalt und erst halb leer war. Die Zähne zusammenbeißend verneigte sich die Ärztin.
„Es... es tut mir so leid...“ Sie hatte damit gerechnet. Hatte sich Worte dafür zurechtgelegt. Hatte vor dem Spiegel hundertmal geübt. Doch jetzt, wo es tatsächlich soweit war... Sie spürte einen Kloß im Hals. Sie konnte nichts anderes tun, als sich zu entschuldigen. Noch einmal, und noch einmal. Es half nichts. Es änderte nichts.
„Macht euch keinen Vorwurf“, zwang sich schlussendlich die aufgelöste Witwe, ihr aufmunternde Worte zukommen zu lassen. Der Knoten in Kakugas Herzen zog sich enger. Sie wollte doch eigentlich eine Unterstützung sein... keine Bürde...
„Ihr habt uns allen geholfen. Dass er es nicht überstanden hat, ist nicht eure Schuld.“
„Doch... doch, das ist es...“ Sie sprach diesen Gedanken nicht aus, wagte es nicht, die arme Frau auch damit noch zu belasten. Doch sie spürte das Gewicht dieser Wahrheit auf ihren Schultern.
Als sie diesmal das Haus verließ, musste sie sich zwingen, Sami anzulächeln.
„Kakuga? Alles in Ordnung?“, erkundigte sich die freundliche Samurai. Die Ärztin wischte sich den Schweiß von der Stirn, spürte dabei, wie ihre Hand zitterte. Das musste sie einstellen, bevor sie Hand an ihren nächsten Patienten legen würde.
„Alles in Ordnung“, meinte sie kurz, aber ruhig. Atmete durch.
„Gehen wir weiter. Es fehlen noch einige.“
Trauernde Familien waren keine Seltenheit, auch wenn Kakuga erleichtert feststellte, dass kaum einer ihrer Patienten tatsächlich ums Leben gekommen war.
„Ihr Besuch ehrt uns“ hörte sie deutlich öfter als das
„Ihr habt schon genug angerichtet“, das ein paar wütende Hausfrauen ihr entgegen warfen. Hikaru ging es nicht gut. Setanta hatte nur ein gebrochenes Bein. Haruhiko war noch nicht aus dem Koma erwacht. Yoshikage klagte über seine Rippen und darüber, dass er wegen ihrer Pfuscherei nicht atmen könne. Jemand war verletzt. Jemand war okay. Jemand hasste sie. Jemand liebte sie. Jemand... Moment, was war mit dem letzten Patienten gewesen? Schlief der noch? Nein, das war der davor... Wen hatte sie gerade besucht? Wer war als nächstes dran? Moment, sie war schon da...
„K-Kakuga? Wir sollten langsam eine Pause einlegen...“ Die zitternde Ärztin hob nicht einmal den Kopf, schien kaum zu hören, was Sami ihr sagte. Als diese ihr die Hand auf die Schulter legte, zuckte sie zusammen.
„Kakuga, bitte... mach eine Pause“, meinte das sonst so optimistische Mädchen eindringlich. Die Hakai erzwang ein Lächeln, schüttelte den Kopf.
„Alles gut. Zwei Leute noch, dann machen wir eine, okay?“
„Eine wie Sie will ich nicht in meinem Haus sehen!“ Kakugas Stirn blutete. Eine Scherbe der Vase, die die Frau nach ihr geworfen hatte, hatte sie blöd erwischt. Das war in Ordnung. Ihrem Mann ging es schlimmer. Viel schlimmer. Die Hakai zog ihre Haare vor die Wunde und verneigte sich tief.
„Verzeihen Sie mir. Ich will keinen Ärger machen. Aber bitte, lassen Sie mich ihren Mann untersuchen, damit es nicht noch...“ „Nicht noch schlimmer wird?“ Kochend vor Wut ergriff die Frau einen Besen. Nichts Gefährliches, doch die Art, wie sie ihn viel, zeigte ihre Gefühle mehr als deutlich.
„Wer hat ihn denn überhaupt erst in diese Position gebracht? Verschwinden Sie!“
Kalter Schweiß lief ihr das Gesicht hinab. Sami entdeckte das sanfte Rot, das sich darin mischte.
„Kakuga... i-ist das...“ „ZWEI LEUTE, Sami!“, schnappte die Hakai, fauchte ihre Begleiterin an.
„Ich dachte, wir haben eine Abmachung? Es ist alles. In. Ordnung. Gehen wir weiter!“ Die Samurai wollte etwas sagen, überlegte es sich jedoch anders. Mit gesenktem Kopf ging sie weiter. Es würde nur noch ein Haus sein, dann konnte sie sich beruhigen. Immerhin konnte das Mädchen nur erahnen, unter welchem Stress Kakuga stehen musste. Da wollte sie es nicht schlimmer machen...
Die Hände der Hakai zitterten, während sie den Puls des Mannes erfühlte. Oder versuchte zu erfühlen. Ihre Zähne gruben sich leicht in ihre Unterlippe.
„Es... es tut mir leid“, wisperte sie mit schwacher Stimme. Sie drehte ihren Kopf leicht. Blickte auf die aufgelöste junge Frau. Sah den kleinen Jungen, der am Türrahmen stand und spähte. Sie atmete tief durch.
„Es tut mir leid. Er hat es nicht geschafft...“ „...“ Schweigend, aus gläsernen Augen, sah die Frau sie an. Sie konnte kaum älter sein als Kakuga selbst. Die Schwarzhaarige schluckte.
„... bitte gehen Sie.“ Die Worte waren knapp. Trocken. Kalt. Mit gesenktem Kopf ging Kakuga an ihr vorbei zur Tür.
„Es tut mir leid... es tut mir so leid...“
Schweigend gingen Sami und Kakuga ein Stück weiter, Seite an Seite, aber ohne einander anzusehen. Nur gelegentlich warf das Mädchen der Ärztin einen unsicheren Blick zu.
„Du... du wolltest eine Pause machen“, traute sie sich schlussendlich, den Mund aufzumachen. Kakugas rote Augen richteten sich kurz auf sie.
„Nicht jetzt. Machen wir weiter.“ Resignierend blickte sie hinab auf die Straße. Sami sah sie dabei an, spielte nervös an einer Spange in ihrem Haar herum.
„Bitte... es geht dir nicht gut...“
„Was weißt DU denn darüber, wie es mir geht?“ Ohne aufzublicken fuhr Kakuga die Samurai an. Ihr Körper bebte. Sie ballte ihre Fäuste so stark, dass sich ihre Fingernägel in ihre Handflächen gruben.
„Musstest du grade einer Frau sagen, dass ihr Mann tot ist? Nein? Dann tu nicht so, als wüsstest du, wie es mir geht!“ Frustriert stampfte Kakuga auf der Straße auf, ging blind weiter. Nach kurzem Zögern eilte Sami ihr nach. Legte ihr die Hand auf die Schulter.
„Hör bitte zu! Du solltest...“ „NEIN!“ Grob schob die Ärztin die Hand ihrer Begleiterin von ihrer Schulter, starrte sie nieder. In ihren roten Augen brannte ein kalter Zorn, während sie versuchte, ihre unkontrollierte Atmung wieder in den Griff zu bekommen.
„Halt doch einfach den Mund! Halt einfach den Mund! LASS MICH IN RUHE!“
Kurz herrschte Stille zwischen den beiden Frauen. Die Intensität in Kakugas Augen ließ nicht nach, auch wenn sich langsam Tränen darin bildeten. Dennoch war es Sami, deren Damm zuerst brach. Sie begann, zu heulen, sank auf die Knie. Irritiert sah Kakuga auf sie herunter. Wusste nicht, was sie tun sollte. Dann wandte sie sich ab, wischte sich mit dem Ärmel über die Augen.
„Heul doch! Ich schaff das auch alleine! Ich brauch dich nicht!“, keifte sie, während sie davon stapfte, die Samurai hinter sich lassend. Sie zwang sich ein paar Straßen weiter, meldete sich an verschiedenen Türen, fragte danach, wo noch andere Kämpfer zu finden waren, die mit ihr gekämpft hatten. Es war deutlich schwerer, sie so zu finden. Weiter kam sie kaum. Schlussendlich merkte sie, dass sie keine Wahl hatte – sie hatte getan, was sie konnte. Ohne Sami kam sie nicht weiter. Jetzt musste sie wohl zurückgehen...
„W-wo bin ich gerade...?“
Heroe war aktuell nicht so gut auf Kakuga zu sprechen wie noch so kurz davor. Wer konnte es ihr verübeln? Außer der Hakai würde wohl kaum jemand so ein irrsinniges Gerücht in die Welt setzen, und dass diese nicht vor Lügen und Tricks zurückschreckte, war nun wirklich kein Geheimnis. Es half nicht, dass Sami unerwartet an ihr, Blake und der Blauhaarigen, die sie gerade getroffen hatten, vorbei stapfte – vollkommen aufgelöst und nicht bereit, stehen zu bleiben, um darüber zu reden. Die Heldin war sich nicht sicher, ob sie ihre Mitsamurai je in so schlechter Stimmung erlebt hatte. Und sie wusste, mit wem sie unterwegs gewesen waren. Niemand wusste so richtig, was Kakuga mit ihr hatte treiben wollen, doch die Ärztin hatte sie mitgenommen, und so war sie zurückgekehrt. Allein.
Als die Hakai also nicht viel später ebenso auf der Bildfläche auftauchte, hatte Heroe wirklich keine Geduld für sie übrig.
Kakuga dagegen überkamen ganz andere Gefühle, als sie die kleine Samurai sah. Bis eben war sie wütend und frustriert durch die Stadt gestampft, hatte verzweifelt versucht, den richtigen Weg zurück zum Schiff zu finden. Nun war sie da, und als sie sich Heroe näherte, fiel der grimmige Ausdruck von ihrem Gesicht ab. Blake war ein netter Kerl, und die Blauhaarige sah auch ganz lieb aus, doch es war Heroe gewesen, die ihr auf dem Schiff des Don eine solche Sicherheit geboten hatte. Auch jetzt genügte der Anblick der Schwertkämpferin, um die schützenden Mauern der Frustration zu brechen und die Gefühle ausströmen zu lassen, die in ihr überkochten.
„Heroeee!“, heulte sie, während die Tränen plötzlich losbrachen und über ihr Gesicht liefen.
„Heroe... i-ich... ich hab... u-und Sami... es tut mir so leid...“ Sie fiel vor dem Mädchen auf die Knie, wollte ihre Arme um sie schlingen...
… doch mit einem geschickten Schritt zurück entwich das Blumenmädchen ihrem Griff und ließ die verdatterte Ärztin knien, die sie aus sehr großen, sehr tränenden und sehr verwirrten Augen anstarrte.
»Die Krokodilstränen kannst du dir sparen«, meinte die Hehero kühl und fokussiert wie immer. Ihr Blick war so unberührt wie üblich. Sie blickte herab auf die Hakai wie auf einen Gegner, den sie einschätzte.
»Hast du gedacht, du kannst dich aus jedem Konflikt einfach herauslügen? Ich hatte dich für ehrenvoller gehalten.«
Ungläubig blickte Kakuga zu ihr auf. Was sollte das? Womit hatte sie das verdient? Was hatte sie getan? Das war so gemein... so ungerecht... so
ungerecht! Zorn kochte wieder in ihr hoch. Warum musste sich jeder an ihr auslassen?
„Von mir aus! Wie du willst! Mir doch egal!“ Sie kämpfte sich hoch und stand schnell wieder auf beiden Beinen. Diese fühlten sich weich an, zittrig, aber das war jetzt nicht wichtig. Ihr Blick war auf Heroe gerichtet. Auf das Mädchen, das sie für eine gute Freundin gehalten hatte.
„Du bist nicht besser als ich! Du bist doof! Und KLEIN!“
Ehe Heroe sich aufregen konnte, war die flinke Ärztin an ihr und den anderen beiden schon vorbei gerannt, schwang sich flink aufs Schiff, um sich in ihrem kleinen Ärztehäuschen auf Deck zu verziehen. Mitgenommen durch das Abenteuer, sah es nach der Reparatur durch die beiden Handwerker ein Stück anders aus, doch das konnte ihr gerade nicht weniger egal sein. Sie verschloss schnell die Tür hinter sich und stakste hinüber zu der Liege in der Mitte des Raumes, fiel davor auf die Knie, um ihre Arme darauf zu stützen und ihr Gesicht darin zu vergraben.
Das war alles nicht fair...