Mit jedem weiteren Moment, jeder Sekunde, die verstrich, jedes Augenblicks, den Shien nicht mit der kühlen Einsamkeit eines mächtigen Weltklassekapitäns zubringen musste, wurde das Wesen vor ihm schöner und schöner. Die Nebenwirkung irgendwelcher Medikamente? Eine Gehirnerschütterung? Eine schleichende Blutung, die irgendwelche Hirnregionen stimulierte? Rational denkende Menschen hätten diese Möglichkeit durchaus in Betracht gezogen, Kagayaki "Kuroi" Shien allerdings nicht. Der Kabuki mit dem langen weißen Haar funkelte seinen Gast neugierig an, erwartete gespannt einen weiteren Tropfen dieses himmlischen Ambrosias, den die schöne Maid ihre Stimme nannte.
Doch halt, was war das? Eine Tür wurde aufgerissen. Schewere Schritte hinter ihm, ein Ächzen und ein Stöhnen. Geschwind warf Shien einen Blick über die Schulter: Dwain und Sona betraten den Raum unter deutlichen Mühen. *Das wurde aber auch Zeit verdammt nochmal... was macht das denn für einen Eindruck?!* Rasant drehte er sich wieder seinem Gast zu, nickte ihr kurz freundlich zu, entschuldigte sich und stand auf. Betont glücklich breitete er dann seine Arme aus und verkündete:
"Ah, Mister Kusaka, da seid ihr ja! Und Sougon, was für eine Freunde!"
Geschwind stapfte Shien zu Dwain, während Sona eine Sitzgelegenheit suchte. Seine Arme schlossen sich fest um den Körper des Karottenkopfes, sein Mund schwebte dabei langsam an sein Ohr. Leise flüsterte er so seinem Waffenmeister zu:
"Wehe du blamierst mich hier drinnen, Junge, dann findest du dich schneller auf dem Grund des Meeres wieder als du 'Aber Käpt'n..!' sagen kannst, verstanden?"
Schnell entfernte sich Shien wieder von seinem ersten Opfer, trat einen Schritt zurück und musterte Dwain mit einem übertriebenen Lächeln. Dann nickte er ihm streng zu, setzte zu eienr Drehung an...
... und erlitt beinahe einen Herzanfall, als er Sona am Boden liegen sah. Doch nicht genug, dass sich der Musikus in der Nähe des fleischgewordenen Liebreizes nidergelassen hatte, nein! Er wagte es zudem auch noch, mit seiner widerwärtigen Stimme die Klangwelt des Esszimmers zu besudeln! *Was ist mit denen allen nur los verdammt!*
Geschwind setzte Shien ein bestürztes Gesicht auf, eilte zu seinem Geigenmännlein und stieß ein besorgtes "Oh mein Gott, Sona!" aus. Keine Sekunde später hievte Shien seinen Musiker bereits hoch, schob mit einem Fuß einen freien Stuhl (und zwar einen von einem anderen Tisch) zurück und pflanzte seinen Musiker genau dorthin, und zwar alles andere als vorsichtig. Etwaige Ausdrücke schlimmer Schmerzen ignorierend beugte sich Shien zu ihm hinunter und beäugte ihn bestürzt. "Sona, mein Lieber, was ist nur mit dir los? Du bist ganz schlapp... fehlt dir etwas? Moment, ich schau mal eben nach..."
Gründlich besah sich Shien den Körper seines Kameraden, doch anstatt wirklich nach fehlenden Gliedmaßen Ausschau zu halten konstruierte Shien lediglich die Kulisse für einen weiteren Befehl. Als sich der Kapitn nämlich den Kopf des jungen Herren ansah, flüsterte er auch diesem etwas zu:
"Benimm die gefälligst, und sitz gerade! Wehe du stehst in den nächsten Minuten auf. Und Lächle, verdammt nochmal!"
Einen Augenblik später saß Shien auch schon wieder seiner Angebeteten gegenüber, und zwar mit dem guten Gewissen, dass nun ein freundlich dreinblickender Musiker und ein lächelnder (und stiller!) Karottenkopf hinter ihm standen... saßen... oder sonstetwas - nicht peinliches - taten. Mit diesem Wissen lächelte er seinem Gast erneut zu und sagte:
"Entschuldigt die kleine Unterbrechung. Meine beiden Männer hier, Dwain und Sougon, sind wohl genauso aufgeregt wie ich selbst, euch an Board begrüßen zu dürfen. Besonders Sona scheint die Freude gar nicht gut zu bekommen. Ihr seid Ärztin, richtig? Eventuell könntet ihr euch später um ihn kümmern... später, viel später versteht sich." Ein kurzes Räuspern, dann fuhr der Kabuki-Kapitän fort: "Nun, was das Geld angeht... ich gedenke euch mit etwas viel wertvollerem zu entlohnen: Einem Essen, dass eure süßen Geschmacksknösplein explodieren lassen wird! Ihr findet doch sicherlich auch, dass die Entlohnung mit schnödem Geld eurer nicht würdig wäre, oder? Ich bin sowieso der Meinung, dass Reichtum in unserer Gesellschaft eine viel zu große Bedeutung beigemessen wird. Wie mein Großvater einmal gesagt hat..."
"Kapitän! Das kann ich nicht zulassen!"
Erschrocken fuhr Shien zusammen. In der Tür hinter seinem Engel waren Eol und Jennifer aufgetaucht, und ersterer stellte ein erschreckend ernstes und bestürztes Gesicht zur Schau. Beides Eindrücke, die der Kagayaki in diesem Moment am liebsten aus der gesamten Welt verbannt hätte, um die junge Fraue vor sich mit einer Sinfonie aus Fröhlichkeit, Harmonie und Stil zu beeindrucken. *Apropos... Sona wird ein Lied für sie schreiben müssen wenn er nicht mehr kaputt ist.*
Mit dem sanftesten Blick, zu dem Shien in seiner Wut in der Lage war, blickte er seinem Gast in die Augen und stammelte ein gepresstes: "Ich... bin gleich... wieder da... Entschuldigt mich."
Anschließend gruben sich Shiens Finger tief in das Holz des Tisches. Als er aufstand und den Stuhl, auf dem er saß, von sich schleuderte, fehlte nicht viel und das Möbelstück wäre krachend direkt durch die Wand des Zimmers geflogen. Nur schwerlich konnte er seinen Griff vom Esstisch lösen, doch als er es schließlich geschafft hatte und mit einem gequälten Grinsen zu Eol und Jennifer schritt knacksten die Knöchel seiner Fingr laut unter dem Druck, der unter der Fassade des freundlichen Kapitäns in diesem Moment brodelte.
"Eol, Jennifer, was für eine Freude, dass ihr es auch hier hoch geschafft habt! Auf ein Wort, meine lieben Gefährten!"
Geschwind schlang sich einer von Shiens Armen um Eols Schultern und quetschen den Körper des Jungens so heftig, dass sich der Kagayaki bereits ausmalte wie peinlich es wäre, wenn jetzt aus heiterem Himmel die Augen seines Zimmermanns platzen würden. Etwas lockerer lassend stellte er sich mit Eol im Arm vor Jen und nickte in Richtung Ausgang. "Kommt, meine Liebe, geht... geht bitte vor, ja, richtig, so ist es gut, nur immer schön weiter..."
"Was zur Hölle sollte das denn gerade werden, hmm? Was kannst du nicht zulassen? Dass ich etwas über meinen Großvater erzähle? Oder dass ich eine wahre Schönheit mit meinem Charme umgarne, damit ihr Pfosten jemanden bekonnt, der sich um eure Wunden kümmert, hmm?"
Mit rollenden Augen packte Shien Eol bei den Schulter und hielt sein Gesicht direkt vor das seine. "Also, nochmal für die langsameren unter uns: Dort drinnen sitzt eine wunderhübsche Ärztin mit einer grandiosen Stimme, und wir haben in unserer Crew wieviele von denen? Eine, zwei... oder doch viel eher GAR KEINE?! Das hier ist eine Chance, wie es sie nur einmal im Leben gibt! Eol, ich sage dir... genau davon habe ich geträumt! Das Schicksal wollte, dass wir hier anlegen, und jetzt weiß ich auch warum!" Kurz hielt er inne, dann bewegte er mit einem Grinsen seinen und Eols Kopf näher aneinander. "Falls du uns das hier verderben solltest, werde ich dich für drei Monate in ein Kleid zwängen, dich schminken, und dir nichts anderes als Bücher über Medizin vorsetzen, ok? Währenddessen wirst du singen, jede Stunde, jede Minute, jede Sekunde, und jedes Lied, bei dem du versagst, bedeutet eine Ration weniger, verstanden?"
Schließlich ließ Shien von seinem Kameraden ab, atmete einmal tief durch, und nickte Eol dann einigermaßen freundschaftlich zu. Danach wandte er sich an seine grünhaarige Navigatorin, wobei er kurz mit ausgestrecktem Zeigefinger auf Eol zeigte. "Hab ein Auge auf ihn, ja? Im Moment habe ich das Gefühl dass du die einzige bist, auf die ich mich hier verlassen kann, Jennifer. Apropos..." Mit diesen Worten ließ Shien kurz vons einen beiden gefährten ab und und versuchte durch die Planken der Dragon nach unten zu sehen.
"Takeo, beeil dich, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit, los los los!"
Ohne auf Antwort zu warten hob Shien den Blick und schaute kurz missmutig aufs weite Meer hinaus, dass sich jenseits des Hecks der Dancing Dragon bis zum Horizont erstreckte. Die Sonne strahlte hell und ließ das Wasser wunderbar glitzern.
*Ein wunderbares Wetter... ich hoffe nur, dass das ein gutes Omen für mein Vorhaben ist.*
Mit einem Seufzer drehte sich Shien um, öffnete erneut die Tür zum großen Speisesaal und murmelte ein leises "Dann mal los"...
Mit festem Schrit kehrte Shien zu seinem Platz zurück, ließ sich erneut gegenüber seiner schimmernden Hoffnung nieder und blickte er direkt in die Augen. "Nun denn, ihr gestattetet mir, jede Frage zu stellen, die mir beliebt. Lasst mich so frei sein, diese Chance beim Schopfe zu packen: Ihr seid nicht zufällig auf der Suche nach einer Crew, auf der ihr anheuern könntet, oder?"
Inzwischen unter Deck...
Genüsslich sog der weißhaarige Koch den Duft seiner Kreationen ein. Er hätte nicht damit gerechnet, doch in der Dragon hatten sich allerlei Vorräte verborgen, wie man sie auch in einem wohl situierten Kreuzfahrtschiff gefunden hätte.
*Hinter Shien steckt wohl doch mehr, als man beim Anblick dieser lächerlichen Gestalt denken könnte.*
Während er mit einer Hand die Soße rührte, in der das leicht angebratene Fleisch nachher baden würde, ließ er den Geruch seiner Komposition konzentriert auf sich wirken. Irgendetwas fehlte jedoch in dem wohligen Gemisch. *Schauen wir doch mal, was Shin für Kräuter hinten im lager hat...*
Ein paar Momente später stand Takeo in der Dunkelheit des Lagerraums im Bauch der Dragon. Die kleine Lampe in seiner Hand spendete kaum genügend Licht, um den Boden unter den Füßen zu sehen, trotzdem musste er einfach hier unten nach der letzten Zutat für sein Meisterwerk suchen. Ein unvollkommendes Mahl zu servieren war, als ob man ein Bild zur Schau stellen würde, das nur zu 3/4 bemalt war: Es war einfach nichts halbes und nichts ganzes, und es verdarb einem die ganze Lust am Kunstwerk.
Während er sich durch die unterschiedlichsten Kisten und Säcke wühlte, hörte Takeo plötzlich zweimal ein leises Klopfen. *Was war das..?* Unruhig schwenkte er sein Lämplein umher, doch wie erwartet konnte er nichts sehen aus den Schemen der Ladung. *Ob sich hier unten Ratten herumtreiben? Etwas besonderes wäre das zumindets nicht, auch wenn ich mir einfach keins dieser Viecher an Board dieses Schiffes vorstellen kann...* Vorsichtig tappte Takeo weiter auf die Stelle zu, an der er die Quelle des Klopfens vermutete. Langsam näherte er sich einem seltsam geformten Schatten, streckte die Lampe nach vorne und...
"Takeo, beeil dich, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit, los los los!"
Erschrocken durch den laut gebellten Befehl fuhr der Koch der Kabukis zusammen und ließ die Lampe aus seiner Hand fallen. Das Glas splitterte zwar nicht, die Kerze im Innern war alleridngs erloschen. In völlige Dunkelheit gehüllt wäre es unmöglich, hier unten etwas zu finden. *Super... soll da sheute tatsächlich mein erstes unvollendetes Essen werden?*
Murrend zog sich Takeo so geschickt es ging aus dem Laderaum zurück, während er dennoch den festen Plan hatte, vor dem Servieren zurückzukehren und nach dem letzten Schliff für sein menü zu suchen - dann sogar mit zwei Lampfen bewaffnet.