Endlich, endlich heraus aus diesem Höllenschlund! Blanches Hände zitterten noch bis sie das Hauptquartier erreichten. Dafür, dass die Gruppe dies vollzählig und unbeschadet tat konnte vor allem Lyonel dankbar sein, denn Morrin war nur einen Wimpernschlag davon entfernt gewesen dieser Himmelsplage an die Gurgel zu gehen, als der Knallfrosch kurz vor Ende des Tunnels mit einem Mal auf die Idee kam ihnen den Weg zu versperren und seine lange Nase in Angelegenheiten steckte die ihn nichts angingen. Aus Rache dafür warf sie die beiden Männer kurzerhand aus dem Zimmer, nachdem Tedd Mischa auf einem Holztisch abgelegt hatte. Ihr war mehr als Bewusst, dass es dem Sprengstoffheini gegen den Strich ging, wenn etwas vor sich ging über das er nicht bescheid wusste und nicht kontrollieren konnte. Darum schmiss sie kommentarlos die Tür hinter sich zu, als Lyonel keifend Informationen über ihr Vorhaben verlangte.
Dämlicher Zausel, wer glaubte er überhaupt zu sein? Sie war ihm nicht im mindesten Gefolgschaft oder gar Rechenschaft schuldig, wenn er nicht bald aufhörte ihr auf den Wecker zu gehen würde sie ihm eine Lehrstunde darin verpassen, wie man bei ihr zu Hause mit solchen Nervensägen umging...
„Etwas verspannt wie mir scheint“, platzte Mischas rauchige Stimme in ihre Gedanken.
„Was...?“ Blanche sah die Mittdreißigerin mit einem wenig intelligenten Gesichtsausdruck an. Sie hatte nicht zugehört.
„Na, der Alte.“ Der braune Haarschopf ruckte erklärend Richtung Tür. „Vielleicht sollte er einfach mal ne gute Nummer schieben. Ich kenne ein paar Orte, wo auch Männer mit ausgefallenen Wünschen auf ihre Kosten kommen, er scheint mir nicht so ein Anhänger für das Standartprogramm zu sein. Wenn er will kann ich für ihn mal ein bisschen spekulieren gehen.“
Die Mundwinkel der Teufelsfruchtnutzerin zuckten. Sie bezweifelte, dass sich ausgerechnet der paranoide Lyonel jemals freiwillig mit einer Hure einlassen würde. Bestimmt überschlug er im Geiste kurz wie viele Krankheiten er sich dabei fangen konnte und entschied dann, dass eine halbe Stunden Spaß das Risiko sich mit etwas anzustecken nicht wert war. Blanche hielt es für wahrscheinlicher, dass der Wirrkopf allgemein zu verrückt war um etwas so natürliches wie einen Fortpflanzungstrieb zu besitzen. „Überzüchtet“ hätte Rurick eine solch massive Verhaltensstörung bei einem Tier genannt und damit wohl nicht einmal falsch gelegen.
Mit einem ungeduldigen Kopfschütteln vertrieb Blanche ihre hämischen Gedankengänge und konzentrierte sich auf die wichtigen Dinge.
„Was macht der Fuß?“
Mischas Blick wanderte gleichgültig hinunter zum Ende ihres Körpers, als ginge sie die ganze Sache nicht wirklich etwas an.
„Ist taub, schon eine ganze Weile.“
Die Prostituierte saß auf dem schweren Holztisch und ließ die Beine baumeln. Sie trug keine Schuhe, dementsprechend zog sich Schmutz bis hinauf zu ihren Waden und bei einem flüchtigen Blick erkannte man kaum welcher Fuß nun eigentlich in Mitleidenschaft gezogen war. Hielt man beide nebeneinander sah man jedoch, dass der Linke deutlich dunkler wirkte als sein Gegenstück und obendrein eiskalt war. Blanche versuchte einen Puls zu ertasten, wurde aber nicht fündig. Das volle Ausmaß der Katastrophe zeigte sich schließlich, als die Ärztin beide Füße vom Dreck befreit hatte. Am Knöchel des vorher angeketteten Beines zeigte sich ein bläulich-violetter Ring an der Stelle, wo die Schelle viel zu eng angelegt worden war. Man erkannte eine Quetschung, die Haut hatte sich durch das enge Metal zusammen gestaucht. Abwärts präsentierte sich der Fuß in ähnlich ungesunden Farben wie der Knöchel, die Zehenspitzen waren schwarz und hier und dort fanden sich Flecken die man eigentlich nur bei Leichen fand. Auf Schmerzreize reagierte Mischa überhaupt nicht, gab es in der Extremität überhaupt noch Leben dann nur tief im Inneren.
Blanche war während der Untersuchung in die Hocke gegangen, streckte sich nun wieder, legte Daumen und Zeigefinger der rechten Hand an die Nasenwurzel und dachte einen Moment mit geschlossenen Augen nach. Als sie schließlich ihr Urteil fällte tat sie das in der typischen Art von Medizinern. Ruhig, sachlich und absolut von sich selbst überzeugt.
„Der Fuß ist nicht mehr zu retten, Mischa. Er ist tot und fault bereits. Wenn du Leben willst muss ich ihn abnehmen.“
Die Hure reagierte auf diese schockierende Eröffnung ohne mit der Wimper zu zucken. Sie blieb seltsam unberührt, wahrscheinlich half ihr die Distanz mit der Situation fertig zu werden. Trotzdem war ihre Gelassenheit nur papierdünn, in ihren Augen flackerte Angst.
„Du willst mir meinen Fuß abschneiden?“ Sie versuchte zu scherzen, aber es gelang nicht recht. Blanche ging erst gar nicht darauf ein.
„Nein, ich will dir den ganzen Unterschenkel amputieren.“
Mischa lachte trocken auf und brach den Blickkontakt ab. Es war klar, was sie von diesem Plan hielt.
„Ach, wenn es weiter nichts ist. Nimm doch gleich das ganze Bein, ich hab immerhin zwei davon!“
Morrin zuckte mit den Schultern. Das Patienten in solchen Momenten mit Wut reagierten war nichts Neues, dass sie sich vornehmlich gegen den Überbringer der Unglücksnachricht richtete auch nicht. Hier half meistens nur die brutale Wahrheit und der Anschein einer Wahlmöglichkeit.
„Entweder lebst du ohne deinen Unterschenkel, oder gar nicht. Du hast bereits Fieber, es wird steigen und in kurzer Zeit wirst du brennen. Du vergiftest dich selbst, mit jedem Herzschlag ein wenig mehr. Zusätzlich dazu wird die Fäulnis in deinem Fuß nach oben wandern und bis jetzt gesundes Gewebe entzünden. Mit Sicherheit läuft der Prozess schon. Vielleicht bist du später noch genügend bei Sinnen um zu sehen, wie der Eiter aus dir herausläuft. Wenn du glaubst Schmerzen zu kennen kann ich dir versichern, dass alles was du bisher erlebt hast gar nichts im Vergleich zu dem war was dir blüht, solltest du wirklich bescheuert genug sein auf dieses verrottende Stück Fleisch an deinem Körper zu bestehen. Das Problem bei der Sache ist, bis du checkst, dass du besser auf mich gehört hättest werde ich nichts mehr für dich tun können.“
Es war eine ziemlich lange Ansprache für eine so maulfaule Person, aber sie hatte den gewünschten Effekt. Der trotzige Zug um Mischas Mund verschwand und mit einem Mal wirkte sie wirklich erschreckend alt. Die ohnehin schon sichtbaren Falten in ihrem Gesicht gruben sich noch ein bisschen tiefer in die Haut.
„Also fragst du mich, ob ich leben oder sterben will, richtig?“
Blanche nickte und ließ die Frau dann alleine. Ein bisschen Bedenkzeit konnte sie ihr einräumen, sollte sich Mischa für die Amputation entscheiden gab es sowieso noch einige Vorbereitungen zu treffen. Und nur sich selbst gestand Morrin ein, dass sie so einen großen Eingriff bisher noch nie gewagt hatte und keinesfalls sicher war, ob ihr ihre Patientin nicht während der Operation einfach unter den Händen wegstarb.