Schnell begann sich Tubalcaine an der Partie “Flash -cooked”, so (oder jedenfalls so ähnlich) hatte die junge Jade Sinclair das Kartenspiel benannt, zu langweilen. Im Großen und Ganzen lief es darauf hinaus, dass Sie beide, sowohl Alhambra selbst, als auch seine Spielpartnerin Jade, praktisch die ganze Zeit über gleich auf waren, was das Punkteverhältnis anging…
Tubalcaine konnte sich nicht helfen - wahrscheinlich hatte sich der Dandy wohl einfach mehr von einem ihm bisher unbekannten Kartenspiel erwartet, als mehr oder weniger simples Kartenablegen und -aufnehmen. Allerdings gestand sich Tubalcaine auch ein, dass das ganze Spiel sicherlich um einiges interessanter und aufregender sein würde, müsste man um etwas spielen, z.B. Berry oder andere kostbare Wertgegenstände.
Und wir spielen nur zum Zeitvertreib, also was soll’s…?
Ein paar Mal in der Partie ging Jade Sinclair eindeutig in Führung, doch sollte sie sich denn überhaupt darüber gefreut haben, versteckte sie dies gekonnt hinter einer beinahe schon steinernen Maske der Ausdruckslosigkeit. Tubalcaine selbst sah allerdings keinen großen Ansporn, sich voll in das Spiel hinein zu hängen: Im Gegensatz zur ernsten Jade trug Tubalcaine eine nicht halb so ausdruckslose Mime auf. Zwar bezweifelte Alhambra nicht, dass es einfach in der Natur der jungen Frau lag, sich so zu geben, wie sie es eben tat, aber dennoch kam ihm das buchstäbliche Pokerface Jades für ein kleines, freundschaftliches Spielchen Karten, schlichtweg zu übertrieben vor…
Sie ist verletzt, Gott weiß woher und von wem - da würdest du sicherlich auch eine Steinbeißergesicht auflegen…
Schließlich riss sich Tubalcaine aber die Ganze Zeit über zusammen und spielte eifrig eine Runde um die nächste mit der angeschlagenen Sinclair. Hin und wieder griff der Dandy zu raschen Trickse- und Schummellein, um seinen Punkterückstand wieder wett zu machen, doch diese bleiben von der konzentrierten Jade Sinclair jedes Mal scheinbar völlig unbemerkt.
Außerdem wurde praktisch kein Wort gewechselt. Bis auf ein gelegentliches “Sie sind dran” oder “Ihr Zug” sprach keiner der beiden etwas. Aber plötzlich wurde die ruhige Stube von einem hastigen Klopfen erfüllt! Und nicht ganz einen Augenblick später öffnete sich die Tür in das kleine Zimmer und ein junger Mann stand im Türrahmen. Er starrte für einige Augenblicke abwechselt zur auf dem Bett kauernden Jade, zu Tubalcaine auf seinem Stuhl und auf das provisorische Tischlein, auf welchen die beiden Spieler ihre Karte ablegten. Schließlich schien der Junge, welchen Tubalcaine als den unsicheren Daniel vom Flur identifizierte, das gesehene für sich analysiert und in Bezug gebracht zu haben (nämlich das Tubalcaine und Jade ein Kartenspiel spielten) und stotterte los: “Also, wenn ihr dann fertig seid… bitte - Sir Jasper hat mich darum gebeten Sie, also Sie, Tubalcaine, ich meine, Mister Alhambra und Sie, Miss Sinclair, nach draußen zu bringen. Äh! Ich meine zu begleiten…? Es soll jetzt losgehen!” Aufgeregt fummelte Daniel an irgendetwas herum, was noch verborgen im Korridor stand und als er damit fertig war, rollte Daniel einen altmodischen Rollstuhl in das Zimmer hinein. “Ach ja - Miss Sinclair soll bitte in diesem Rollstuhl von mir geschoben werden. Sagt Sir Jasper…”
Tubalcaine wusste nicht so ganz, was er von dieser Sache halten sollte, wechselte daher rasch einen aufmerksamen Blick mit der jungen Jade. Sie schien mindestens genauso misstrauisch wie Tubalcaine es war, doch sie nickte ihm auch unmissverständlich zu und forderte ihn somit auf, zu tun, wie ihnen befohlen. Denn auch wenn Daniel sich schüchtern hatte ausgedrückt, so hatte er die beiden Gäste des Hauses v. Harz nicht darum gebeten, sich in Bewegung zu setzen - nein, er hatte es ihnen im Namen von seines Vorgesetzten befohlen!
Wir dürfen gespannt sein…
Tubalcaine fand es bemerkenswert, das konnte er nicht leugnen, dass Jade Sinclair genauso “hell in der Birne” zu sein schien, wie er sich selbst täglich aufs neue einschätzte - ohne den wachen Verstand der jungen Frau wäre es für den Dandy Man mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ziemlich peinlich geworden, als seine Große Stunde hatte geschlagen und er Jasper v. Harz den Weg ins königliche Schloss zeigen sollte…
Die Widerstandsorganisation unter Jasper v. Harz, einem Angehörigen des Adelsgeschlechts von Lohen, hatte im Laufe der Jahre einen gerissenen Plan erdacht, um den Geldgierigen Fenrir II. nach langer Schreckensherrschaft endlich vom Thron zu stoßen. Und obwohl Emilio Augustinus Lux, sowohl als auch Tubalcaine Alhambra, eingewilligt hatten, dem Bürgerwiderstand beizutreten und nach besten Kräften zu unterstützen, hatten sie dennoch niemals damit gerechnet, dass sie doch tatsächlich die Schlüsselfiguren in Jasper v. Harz Plänen werden würden!? Dieser hatte sich zurecht gelegt, dass die beiden erst vor kurzem aus dem königlichen Kerker Ausgebrochenen und aus dem gewaltigen und vor allem gut bewachten Schloss entkommenen Tagediebe Tubalcaine und Emilio nun Jasper und seine Leute in das Schloss hineinführen sollten - und zwar auf den selben geheimen Weg, welcher von den beiden Ausbrechern zu derer Flucht verwendet wurde.
Alhambra war wirklich kein dummer Mann doch anscheinend hatte auch er einmal seine unkonzentrierten Momente: Einige Male hatte er sich zusammen mit Emilio A. Lux und ihrem neuen ‘’Freund’’ Jasper v. Harz über die geplante Aktion unterhalten. Aber kein einziges Mal hatte es einer der beiden für nötig befunden, zu hinterfragen, wie genau man denn ins Schloss gelangen möchte usw.
Es lag sicherlich am Schlafmangel…? Oder hat er und das erzählt, der gute Sir Jasper, und ich hab’s überhört…? Keine Ahnung…
Jedenfalls begriff Tubalcaine erst den Ernst der Lage, als er und Emilio schließlich in zwei unterschiedliche Gruppen gesteckt wurden und beide den Auftrag bekamen, jeweils ihre auf dem ‘’ihnen bekannten Weg’’ in das königliche Schloss zu begleiten - Es konnte ja schließlich keiner ahnen, dass sich die beiden klamm und heimlich mit nur sehr viel Glück aus der Burg stehlen konnten, indem sie sich in leeren Wasserfässern versteckten und hofften, nicht erwischt zu werden…
Keine Ahnung, wie sich Mister Emilio jetzt aus der Affäre ziehen will, bzw. kann… aber ich habe ja zum Glück Jade Sinclair in meiner Gruppe!
“Herz-Dame ist Trumpf.”, flüsterte Tubalcaine mit einem gerissenen Grinsen auf den Lippen und schenkte der im Rollstuhl sitzenden Jade ein dankbares Zwinkern. Diese grinste zur Abwechslung ebenso froh und verschwörerisch, wenn auch nur ganz kurz, bevor sich ihre Züge wieder in das gewohnte All-round-Pokerface verwandelten - ohne ihren Einfall, Jasper v. Harz und sein Untergebener Daniel könnten die immerhin steckbrieflich gesuchten Kriminellen Tubalcaine ‘’Dandy Man’’ Alhambra und seine Komplizin, eine schöne Unbekannte, beim König persönlich auszuliefern, würde die kleine vierköpfige Gruppe wohl noch immer vor der Ostmauer des Schlosses stehen und Tubalcaine dabei zusehen, wie er angestrengt und ungläubig immer und immer wieder die Ziegelmauer abtastet, streng darauf beharrend, dass es vor einigen Tagen dort noch den Geheimgang gab, durch welchen er seiner Zeit entkommen war… Doch leider wusste Tubalcaine ja ganz genau, dass es dort eben keinen geheimen gang gab. Und er konnte auch noch so oft gegen Felsen drücken oder Spielkarten durch scheinbar nachträglich angelegte Schlitze und Ritzen ziehen - er hätte trotz aller Mühe so ganz bestimmt niemals einen Geheimschalter oder ähnliches auslösen können, so sehr er sich auch in seinem Schauspiel bemühte… Lediglich die pfiffige Jade Sinclair schien nach kurzer Zeit schon zu erkennen, dass Tubalcaine ihnen etwas vormachte, und nach ein, zwei Aktionen Alhambra’s erörterte Sie, dass man den Geheimgang ganz bestimmt zugemauert oder eben einfach nur blockiert habe, um zu verhindern, dass die Entkommenen schließlich erneut in das Schloss eindringen könnten. Außerdem sprach die junge Frau Tubalcaines Plan B an, der da lautete, Jasper und Daniel würden die beiden gesuchten ausliefern wollen und auf diesen Weg ins Schloss gelangen…
Mein Gesicht blieb gewahrt und wir sind im Schloss - Dank Ihres Plan B! Miss Jade, ich bin Ihnen etwas schuldig…!
Gerne hätte Tubalcaine sein Lob und den Dank offen ausgesprochen - doch zur Zeit musste er sich still verhalten, sonst würde er sich und den Rest der Truppe noch enttarnen. Nichts desto Trotz freute er sich, dass ihre wahghalsige Aktion bisher ganz gut verlief und wenn das stille Verständnis zwischen ausgekochten Jade und ihm weiter anhalten würde, wer weiß, vielleicht kämen sie dann alle auch lebend aus der Sache raus...
Angespannt schlichen sie also durch die steinernen Korridore des riesigen Schlosses, welche Alhambra schon bei seinem ersten Aufenthalt hier unheimlich waren und jeder rätselte im Stillen für sich, wie es nun weiter gehen würde. Jade Sinclairs Rollstuhl klirrte und quitschte scheinbar überlaut in den stillen Fluren und Daniel, der das Gefährt schob, erschreckte sich jedes einzelne Mal. Erneut fragte sich Tubalcaine, wieso Jasper v. Harz das Mädchen eigentlich dabei haben wollte...