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SUP 1: Nachtwind

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Flex Biegsam

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Einen kurzen Moment lang war sich Oliver nicht schlüssig, ob er denn nun wachte oder träumte. Die Tränenflüssigkeit hatte ihm die Augenhornhaut bis auf eine extremst dünne Schicht weggeätzt, so dass er nun alles irgendwie überscharf wahrnahm. Sogar die Marmorierung des Dachbalkens über ihm konnte er erkennen. Dann schob sich ein Schatten über sein Blickfeld und die Welt löste sich in Schatten auf. Er meinte noch, die Silhouette einer wunderschönen Frau erkennen zu können, dann umschloss ihn die wohlige Wärme der Ohnmacht, als ob sie ihn nach langer Trennung wieder in ihre Arme nehmen wollte.

Als die trüben Schleier der Besinnungslosigkeit der grellen Bühne der Realität wich, dachte der Magier, er würde immer noch träumen. Seine Augen, sie fühlten sich so...gut an. Blaue Magie... fragte sich der Verrückte, nachdem das junge Ding neben sich erblickte. Das kann eigentlich nicht sein, alle Blauherzen sind doch im Krieg hingerichtet worden? Ein süffisantes Grinsen schlich sich bei dem Gedanken an das Schimpfwort für Heilmagier in sein Gesicht. Ach, wie hatte er es doch genossen, die magischen Ärzte mit diesem Schimpfwort zu foppen, nur um gleich darauf von ihnen aus dem Lazarett gejagt zu werden. Ja, die gute alte Zeit...da werden Erinnerungen wach, was, Tarius? Einen Moment lang verhallte die Frage in seinem Geist, dann meldete sich eine tiefe Stimme zu Wort, die nur er hören konnte. Gut? Ich wüsste nicht, was an dieser Zeit gut gewesen seien sollte, Conan. Die gute Zeit, wie du sie nennst, ist schon viel länger vergangen, als du es dir vorstellen kannst. Du bist noch viel zu jung, als dass du in Erinnerungen schwelgen könntest. Lass mich einfach mit deinem Geschwafel in Ruhe und übergib mir das Kommando über den Körper, dann regel ich die Sache hier. Der Itensität, mit der die Seele das Ich ausgesprochen hatte, ließ ihn instinktiv zusammenzucken. Noch bevor er die Frage erwidern konnte, huschte ein drittes Bewusstsein in seine Gedanken und wurde eins mit ihnen. Leute, Leute, streitet euch nicht. Die anderen schlafen noch, also seid gefälligst ruhiger, okay? Die beiden Geister, die sich gegenseitig Tarius und Conan genannt hatten, zuckten in Gedanken die Schultern. Gut, sagten sie beide, wenn du alles besser weißt, dann kannst DU ja gerne mal am längeren Hebel sitzen!
Langsam aber beständig, drückten Conan und Tarius mit all ihrer Willenskraft gegen das Bewusstsein, das es gewagt hatte, ihren Streit zu stören. Obwohl es dagegen ankämpfte, wurde es immer weiter zurückgedrängt, bis es schließlich dort war, wo Tarius Seele sich noch vor kurzem befunden hatte. Ein Ruck durchfuhr Oliver, und sein gesamter Leib fing plötzlich an sich zu verkrampfen. Er schüttelte sich, schrie und schlug wild herum , bis der namenlose Geist aufhörte Widerstand zu leisten und sich seinem Schicksal ergab. Er war vollbracht.
Oliver blinzelte. Auf seinem Gesicht lag ein seltsam glücklicher Ausdruck, als ob er sich plötzlich wieder an etwas sehr schönes erinnern könnte. Ein Traum...aus einem Leben, das er schon vergessen hatte. „Ja!“ schrie er. Er war ein einfacher Ruf, doch die Wirkung dahinter war enorm. Die Frau neben ihm wich vor ihm zurück, ebenso wie die Widergänger, die sich hinter seinem Rücken aufgestellt hatten. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren erhob sich der so arg geschundene Körper des Magiers unter dem Schutthaufen. Holzsplitter und Staub fielen in kleinen Sturzbächen seinen Rücken herab, als Oliver die Schultern straffte und sich nach seinem Gehstock umsah. Tastend huschte sein Blick über das Chaos, das ihn umgab. Soso, Conan hat ganze Arbeit geleistet. Ich wusste ja was passiert ist, aber dass das ganze so ausufern würde...elender Stümper. Da war sie, diese Gehhilfe, zwei Dutzend Meter entfernt auf der Straße. Doch irgendetwas trübte seine Sicht. Es schien, als ob eine Glasscheibe zwischen ihm und der Straße wäre. Nun neugierig trat Oliver an die Frostschicht heran und begutachtete diese. Klar wie Glas, und doch konnte man dünne, weiße Linien erkennen. Interessant...wirklich interessant. Mehr aus Reflex als aus einer Entscheidung heraus griff der Hexer nach dem Ende der Kette, das neben ihm lag. „Und nun...Revanche!“
Was nun folgte, spielte sich innerhalb weniger Sekunden ab: Oliver vollführte eine peitschenartige Bewegung mit seiner Kette, die daraufhin blitzschnell das Eis durchschlug und auf den Gehstock zusauste. Zeitgleich erwachten drei Zombies hinter ihm aus ihrer Starre und sprangen wie Fliegenfische auf den nächstbesten Leckerbissen: Ihn. Die Kette wand sich schlangengleich um den Griff der Gehhilfe und sprang zurück zu ihrem Besitzer. Die Wiedergänger hatten ihren Sprung nun fast beendet und sausten mit weit aufgesperrten Kiefern durch den Raum auf ihn zu. Kurz bevor sie zubeißen konnten, umschloss Olivers Hand den Griff seiner neuen Waffe. Warm, fast schon heiß, schmiegte sich das Mahagoniholz in seine Hand, es war die Wärme von roter Magie. In einer eleganten Bewegung drehte sich sein Oberkörper nach Rechts, den Stock hatte er wie ein Ritterschwert erhoben. Ein roter Lichtblitz fuhr durch den Raum. Die Schatten waren noch nicht ganz von den Wänden verblasst, da verformte sich das Schwert in Olivers Händen zu einem grausam ausschauenden Langschwert. Mit einem einzigen Streich enthauptete er die drei Störenfriede, die Klinge schnitt durch ihre Hälse wie durch Butter. Er ließ den Schwung ein einer viertel Dreheung vergehen, dann schaute er auf und blickte der Frau, die ihm eben so nett die Augen gekühlt hatte, direkt in die Augen. Hinter ihm schlugen die Körper der Untoten wie Mehlsäcke auf dem Boden auf.
Beinahe hätte er den Schatten nicht bemerkt, der hinter seinem Rücken auf ihn zugeflogen kam. Seine Reflexe reichten zwar noch gerade so aus, um den darauf folgenden Axthieb abzuwehren, doch sie waren nicht imstande, die Wucht des Schlags abzufangen. Nur leicht abgebremst schlug das Axtblatt in seine linke Schulter ein, zerschnitt Sehnen, Nerven und Venen. Ein Schmerzensschrei entwich ihm, lauter als jeder vorherige, dann fing er sich wieder. Ungläubig starrte er denden Angreifer an. Er musste wohl einfach vom anderen Gebäude über die Straße hinweg in das Trümmerloch gesprungen sein, doch das grenzte beinahe an ein Wunder. Was für ein Sprung, dachte sich der Magier vielleicht sollte ich Jennsangs Schoßhund ja doch ein wenig ernster nehmen als es Conan getan hat?
„Oliver Faust...Meister Jennsang will dich sehen!" Oliver lachte laut auf, doch es war ein kaltes, freudloses Lachen. „Du verstehst gar nichts, und deshalb bist du derjenige, der hier um Gnade winseln sollte." Sein Gegenübersprang unwillkürlich einen Weg zurück, offenbar in der Annahme, sein Gegner könne mit einer solchen Wunde nicht mehr angreifen. "Warum sollte ich erledigt sein? Ich bin dir haushoch überlegen, du hingegen bist vollkommen auf dich allein gestellt!“ Wieder entrang sich dieses heisere Kichern Olivers Kehle. Er konnte die Lüge praktisch riechen, dennoch spielte er das kleine Spiel des Menschenjägers mit. Doch nun würde er gegen die Regeln verstoßen. „Ha! Ich bin niemals allein, niemals. Selbst in meiner Zelle hatte ich mehr Gesellschaft als du es nun hast, du kleiner Lügner!“ Der Jüngling hob verwundert eine Augenbraue und zeigte mit dem Axtkopf auf ihn. „Ich verstehe wohl nicht recht. Ihr seit hier allein, und niemand kann euch helfen, mit Ausnahme dieser Frau da,“ er deutete auf die Schönheit „doch sie scheint mir in diesem Strudel der Ereignisse eine eher neutrale Rolle einzunehmen, findet ihr nicht? Also erzählt mir von eurer Gesellschaft, oder du kannst deine Finger demnächst als Zahnstocher gebrauchen!“
Dieses Mal schwieg er. Konnte es sein? Konnte es sein, dass dieser Jüngling nichts von den Ereignissen der magischen Welt wusste? Es wird Zeit, Licht ins Dunke seines Verstandes zu bringen...Er räusperte sich übertrieben laut, dann sah er seinem Gegner direkt in seine großen, braunen Augen. „Tatsächlich, du hast keine Ahnung von dem, was mich und deinen Meister verbindet? Schade, wirklich sehr schade. Doch du kannst froh sein, denn ich werde dir nun erklären, was es mit Oliver Faust auf sich hat.“ Hier machte er eine kleine Kunstpause, um die Spannung noch ein klein wenig länger zu erhalten. „Ich existiere nicht. Oder besser: Das Ich existiert nicht. Derjenige, dem du jetzt gerade gegenüberstehst, ist keine Person an sich, sondern bloß eine Allianz aus Seelen, die aus Eden verbannt wurden. Tarius, Conan, Flex, Laura, Malthur, Vessler und Jumpscar, das sind unsere Namen. Wir alle wurden im Verlauf der letzten drei Jahrtausende geboren und dienen seit jeher der Allianz des Nordens! Der Name Oliver bezeichnet nur denjenigen von uns, der gerade diesen Körper kontrolliert.“
Der Axtmann ließ sich kein Zeichen der Verwunderung anmerken. Entweder hatte Oliver ihn tatsächlich unterschätzt, oder er war ein verdammt guter Schauspieler. Doch er schien sich nicht entscheiden zu können, ob er diese Konversation nun mit einem Athieb oder mit Worten beenden sollte. Er entschied sich für letzteres. „Wenn das so ist, dann sagt mir nur eines: Warum habt ihr die Menschen umgebracht? Was war denn der Grund für euer Morden?“ Nun musste Oliver doch lachen. Und nicht nur er, alle Wachen in ihm stimmten in sein Gelächter ein und prusteten lauthals. Bloß konnte sie leider niemand hören. „Ah, so etwas witziges habe ich schon lange nicht mehr gehört. Ich beantworte dir deine Frage mit einer Gegenfrage: Ist denn wirklich jeder, der unschuldig aussieht, auch ein guter Mensch? Ich war nur derjenige, der über ihre Taten in der Vergangenheit richtete, also erdreiste sich nicht, mich als schlechten Menschen darzustellen! Im mag zwar meine sieben Fehler haben, ja, aber ansonsten sind wir weitaus bessere Seelen als die Schwarzmagier, die du Ärzte nennst.“
Olivers rechte Hand schloss sich fester um den Griff des Schwertes. Es benötigte nur eine kleine Menge magischer Kraft, und schon loderten scharlachrote Flammen an der Klinge herauf. „Dieses Gespräch langweilt mich, es wird höchste Zeit, ihm etwas Würze zu verleihen!“
 
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